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Es ist ein langer Weg … nicht nur der, den man LAUFEN muss. |
Habe Krankenhäuser kennengelernt, war auf Kur, war mehrmals im Kloster und ich ging im Sommer 2008 meinen ganz persönlichen Jakobsweg. Davon soll dieser Brief erzählen.
Anfang Juni 2008 – seit über einem Jahr hat mich mein Burnout fest in seinen unerbittlichen, festen Krallen. Ein Jahr mit Arztterminen, Tabletten, Psychotherapien, Gesprächen, auf- und mehr abs liegt hinter mir. Gebracht hat alles scheinbar nichts – es geht mir mit mir und meiner Krankheit nach wie vor schlecht, sehr schlecht sogar. Meine Tage und Nächte sind von Grübeln und Hoffnungslosigkeit geprägt – und zwar fast jede Minute des Tages und fast jede Minute der Nacht.
1. Erkenntnis der Krise – Entscheidungen einfach treffen – nicht lange überlegen – das lange Überlegen bringt absolut keine „bessere, richtigere“ Entscheidung. Im Gegenteil, das ständige Grübeln und überlegen macht mich kaputt. Also – es gibt nur ein Ja oder ein Nein. Also Ja – wir gehen den Jakobsweg. Ich bin so froh, dass mein Nachbar alles organisiert, Reiseroute, Zugkarten etc. – ich muss eigentlich nur meinen Rucksack packen – und ehrlich gesagt, das war mir schon zu viel – wie soll ich den Jakobsweg schaffen, wenn ich nicht einmal in der Lage bin, einen 9 kg Rucksack für 6 Wochen zu packen.
2. Erkenntnis – auch Todsünden können gut ausgehen – ich habe niemanden getroffen auf dem gesamten Jakobsweg, der keine Blasen an den Füssen hatte – NIEMANDEN – ausser mich. Ich hatte absolut keine Blase – ich hatte den richtigen Schuh und ich hatte zwei Paar teure, aber sehr gute Wandersocken – und ich habe diese Socken pracktisch nie gewaschen – immer nur „ausgelüftet“ über Nacht. Ergebnis -keine Frau näher kennengelernt wegen der Socken – aber – keine Blasen – auch wegen der Socken.
15.6.2008 – unser Jakobsweg beginnt – wir (Robert und ich) fahren mit dem Zug nach Saint-Jean-Pied-de-Port, einer Stadt mit 1477 Einwohnern in der französischen Region Aquitanien. Sie liegt direkt an der Grenze zu Spanien, 76 km von der spanischen Stadt Pamplona entfernt.
Die Stadt ist ein wichtiger Startpunkt am Jakobsweg und zugleich letzte Station auf französischem Boden. Der Pilgerweg setzt sich dann im Camino Francés fort, der in die Pyrenäen, über den Ibañeta-Pass, nach Pamplona und schließlich nach Santiago de Compostela führt. Der Camino Francés ist der klassische Jakobsweg, der auf einer Strecke von knapp 800 Kilometern quer durch Nordspanien von den Pyrenäen nach Santiago de Compostela führt.
3. Erkenntnis – beim Rucksack packen Zuhause – mindestens 1/3 am Schluss wieder rauswerfen – man braucht eigentlich gar nichts auf diesem Weg – nur Füsse, die einem tragen von Tag zu Tag und gute Gedanken, die einem ebenfalls tragen – von Tag zu Tag. Der Rest kommt, der Rest ergibt sich. Natürlich habe auch ich zu viel mitgenommen, aber das schöne am Jakobsweg ist, man bezahlt sofort für seine Fehler – das ist gut und sehr lehrreich für das nachfolgende Leben.
Der erste Tag – Pilgerpass abholen und los gehts – immer aufwärts – rauf auf diesen Pass, der Frankreich mit Spanien verbindet – und es wird immer kälter, die Schultern tun weh von dem „scheiss“ Rucksack. Dann kommt Schnee – und knöcheltiefe Wege – die Schuhe – alles nass und verdreckt – Mann oh Mann, was hab ich denn da angefangen? – Dann – der erste Tag ist geschafft – die riesige ehemalige Kirche, die zu einer Pilgerherberge umfunktioniert wurde, ist unser erster Halt – Pilgerpass abstempeln lassen – und dann rein in die Kirche – ein Schock – kalt, eng, Stockbetten über Stockbetten, alles kalt und nass – eine Dusche für die Frauen und eine Dusche für die Männer – mich friert es und ich liege in meinen Schlafsack – ungeduscht – zu kalt – und dann die Nacht – ich nehm meine Schlaftablette, mein Freund Robert schläft sofort, ohne Schlaftablette.
Das wird die nächsten Wochen so bleiben – er schläft immer sofort ein ohne Tabletten, ich schlafe nicht ein mit Tabletten. Schöne Scheisse. Dann das Schnarchen und der Lärm – schon wieder bereue ich, diesen Schwachsinn zugesagt zu haben. Am Morgen – rein in die noch nicht ganz trockenen Sachen und weiter gehts – jetzt tut der Rucksack von der ersten Sekunde an weh – weil die Schultern blaue Striemen haben. Na Bravo – aber ich kann doch nicht am 1. Tag aufgeben, das tut doch niemand da – also weiter – und so geht es weiter und je näher wir Spanien kommen, desto besser wird das Wetter, desto besser werden die Wege und desto besser geht das mit dem Rucksack.
So – jetzt beende ich mal – Fortsetzung folgt – an einem der nächsten Tage.
In Gedanken – euer G.Ender
Es ist gut Gerd, dass Du darüber schreiben kannst, das hilft Dir für Deinen weiteren Weg. Dazu kann und will ich Dir nur das Beste wünschen, denn auch ich weiss, wie es ist, wenn man in ein "Schlangenloch" fällt und denkt, man kommt nie mehr da heraus. Kämpf weiter! Dagmar
was kann man da noch sagen? … Ich muss fast heulen. Bin froh und dankbar, dass es Menschen wie dich gibt, die so wundervoll schreiben – und über Themen, die sonst unter den Teppich gekehrt werden. Oder in stumpfsinnigen Sendungen ausgeschlachtet